2010 hieß das Konzept von Win Butler und seiner kanadischen multi-instrumentalen und stilistischen „Mehrzweck“ Groß-Band Arcade Fire noch ‚The Suburbs‘, bei dem sie sich in die Niederungen der texanischen Heimatstadt Houston von Sänger Win und seinem Bruder und Bandkollegen William begeben haben.

Ergebnis, war neben Kritikerlob, anbetende Schmeicheleien von Musiker Kollegen wie David Bowie und Chris Martin eben auch ne Grammy Auszeichnung und millionenfache Albumverkäufe.

Nun haben wir 2013 und Monate in denen ich das „Vergnügen“ hatte, merkwürdig anmutende und teilweise nichtssagende sog. „Album-Teaser“ der Band im Netz bestaunen zu dürfen. Virales Marketing nennt man das ja neudeutsch…oder wie in diesem Fall „Guerilla Marketing“, bei dem jedes Marketing Element wenig und erst in der Summe ein Sinn erkennbar wird.

Und um das ganz Projekt noch größer zu machen, ist dann vor ein paar Wochen die Track Liste durchgesickert und es wurde erkennbar, dass es ein Doppel Album wird. Wow..richtig viel Material, dachte ich. Ist es ja auch geworden, was mit dem Hören der ersten gleichnamigen Vorab Titel-Single „Reflektor“ deutlich wurde: 7:33 min Länge! Ah ja…das zum Thema Konzept Album.

Inhaltlich ließ sich Win Butler vorab entlocken, dass sich das Album um Tod, Reflektion und die moderne Form der Individualisierung und deren Folgen dreht.  Orpheus und Eurydike sei hier als literarische Vorlage genannt. Schwere Kost?

Aber dann hieß es, Schauplatz der Album Szenerie ist dieses Mal zumindest musikalisch die Karibik. Haiti und Brasilien sind hier der Schwerpunkt. Oha!

Und wer einen Beweis für die Widersprüchlichkeit braucht, der kann sich gern das über 6 minütige „Here comes the Nighttime“ anhören. Ein Song der furios im karibischen Trommelfeuer beginnt und dann nach kurzer Zeit im verschleppten und bassverzerrten Mid-Tempo weitergeht. Es fliegen elektronische Fetzen und dann auch wieder schräge Gitarren ein. Und dann geht es wieder im 2/4 taktigen Calypso Sound weiter bei dem natürlich das Elektro-Saxofon nicht fehlen darf. Einmal Schütteln bitte!

Wer mutig ist möge sich dann die potentielle Fortsetzung „Here comes the Nighttime II“ anhören. „Schon“ nach 13 Sekunden ertönt der erste Ton. Und man erinnert sich schnell an die Tatsache, warum der Band das Label „Barock-Pop“ anhaftete. Tiefer, breiter Bratschenklang abgelöst vom sphärischen Synthesizer Teppich bildet hier das Gerüst. Wo hier die musikalische Brücke geschlagen werden sollte, erschließt sich selbstverständlich nicht gleich. Dafür ist der „Spuk“ dann aber auch nach 2:53 Min. wieder vorbei.

Konsequenter elektronisch ist es dann beim Titel Track „Reflektor“ und „Afterlife“, bei dem sich ein Disco Feeling breit macht. „Flashbulb Eyes“ wird dann wieder so eine bizarre Mischung aus karibischen Grund-Rhythmus, elektronischen Einschüben und Indie-Rock. „Joanne of Arc“ und „You already know“ sind musikalisch dann wieder mit ihrer rauen, erdigen und lässigen Verspieltheit an „The Suburbs“ angelehnt. „Normal Person“ beginnt dann als wäre Marc Bolan im Südstaaten-Rock Café gestrandet. Und wer bei „Porno“ an laszive, verruchte Anzüglichkeit denkt, wird auch nicht so richtig „bedient“, denn hier könnte auch „Air“ an den Reglern gesessen haben. Sehr galaktisch, sphärisch.

Fast 13 Minuten nehmen die thematisch verknüpften Tracks „Awful Sound (Oh Eurydice)“ und „It’s Never Over (Oh Orpheus)“ ein, bei dem der erste Teil eine verschleppter Retro Rock mit perkussiver  Untermalung spärischen Synthesizern mit großem Chor am Ende und merkwürdig abgehacktem Schluss und Teil 2 dann ein groovender Indie-Rock Track ist, bis auf kurze ruhige Sequenzen im Mittelteil und die den Song zuende fließen lassen. „We Exist“ und das finale „Supersymmetry“ sind 2 Songs, die etwas herausfallen aus dem musikalischen Gebilde. Während We exist recht poppig mit waberndem Bass daher kommt wirkt Supersymmetry als hätte der Song nicht viel mit dem Album zu tun. Spärlich instrumentiert und hauptsächlich von Win Butler und Ehefrau Régine als Duett beginnend gleitet alles zur Hälfte des Songs in ein instrumentales elektronisches Klangwerk ab, als hätte man das Ende eines Jean Michel Jarre Albums erreicht.

Hat man  aber nicht! Tief durchatmen! Und recht schnell kam ich zu dem Gedanken, lasse ich das ganze erst mal Sacken, mit der Gefahr, dass „Reflektor“ in den Untiefen meiner Musik Bibliothek abgleitet, oder löse ich mich von den ganzen konzeptionellen Vor-Gedanken und lasse das Album einfach mal durchlaufen?

Letzteres war dann die Devise. Und je mehr ich mich von verkopften Vorstellungen löste desto „runder“ wurde die Sache. Und desto mehr griffen die anfangs sperrigen Strukturen dann doch ineinander und machten Sinn…und Spaß!

Unweigerlich kam mir die Szene aus dem James Bond Klassiker „Leben und Sterben lassen“ ins Bewusstsein, bei der in der Anfangs Sequenz ein Trauerzug durch die Straßen von New Orleans schreitet und urplötzlich die ganze Gruppe in eine fröhliche karibische Karnevalsgesellschaft im Stile des „Mardi Gras“ umschlägt.

So in etwas verhält es sich auch mit Reflektor. Ein Album, das zuerst musikalisch überladen und etwas über-ambitioniert  wirkt und für meine Begriffe aber auf den 2. Blick seinen Charme entwickelt.

Reflektor ist demnach ein Hybrid, der zum Nachdenken anregt, während man gleichzeitig nicht still sitzen bleiben möchte.

Konzept teilweise aufgegangen!

e.